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Therapie im Zeitalter von SARS-CoV-2

Wie Komorbiditäten zu berücksichtigen sind

Die Infektionswelle mit SARS-CoV-2-Viren trifft insbesondere Patienten mit chronischen Vorerkrankungen. Für diese speziellen Personengruppen haben Fachgesellschaften aktuelle Handlungsempfehlungen herausgegeben.

Eine Auswahl.

Onkologie

Verschieben und/oder Aussetzen der Krebstherapie: Generell gilt, dass in den meisten Fällen die effektive Behandlung der Krebserkrankung für das Überleben der Patienten wichtiger ist als Unterbrechungen oder Verschiebungen. Patienten, bei denen die onkologische Therapie die Krebserkrankung kontrolliert, erleiden sogar weniger Infektionen. Außerdem könne ein unnötiges Absetzen gut eingestellter Patienten durch unerwünschte Ereignisse gefährden – beispielsweise beschrieben für das Rebound-Phänomen nach Absetzen von Ruxolitinib.

Da COVID-19 einen ähnlichen Verlauf wie eine Hypersensitivitätspneumonie haben kann, sollte man bei Medikamenten, die diese Nebenwirkung ebenfalls verursachen können (z. B. Checkpoint-Inhibitoren), besondere Vorsicht walten lassen .

Bluttransfusionen: Bisher liegen keine Berichte über die Übertragung von COVID-19 durch Blutübertragungen vor. Personen mit Infektionen und Personen, die in den letzten 4 Wochen Kontakt zu jemandem mit einer ansteckenden Krankheit hatten, werden in Deutschland nicht zur Blutspende zugelassen.

Sekundäre Immundefizienz: Patienten mit sekundärer Immundefizienz, einer Vorgeschichte von rezidivierenden Infekten und IgG-Werten < 4g/l erfüllen gemäß EMA die Kriterien für eine Immunglobulinsubstitutionstherapie. Intravenöse Immunglobuline wirken zum aktuellen Zeitpunkt aus Mangel an spezifischen Antikörpern nicht spezifisch neutralisierend gegen SARS-CoV-2, aber sie können bei Patienten mit ausgeprägter Hypogammaglobulinämie die Defizienz abmildern und andere virale oder bakterielle Infektionen vermindern. Da im Verlauf der Pandemie jüngere Personen zunehmend immun gegen SARS-CoV-2 werden, ist absehbar, dass mehr Immunglobulinpräparationen protektiv sein werden.

Begleiterkrankungen: Da vor allem Menschen mit Begleiterkrankungen schwere Verläufe einer SARS-CoV-2-Infektion haben, sei zu achten auf einen ausreichenden Ernährungsstatus (Behandlung einer Tumorkachexie, Ausgleich potenzieller Mangelzustände wie Vitamin-D-und Eisen-Mangel) und auf eine ausreichende Mobilität als Pneumonieprophylaxe (Physiotherapie, Atemtherapie). Nichtrauchen ist wie immer dringend empfohlen .

Kardiologie

Generell stellen bakterielle oder virale Infektionen eine zusätzliche Belastung für das Herz-Kreislauf-System dar. Fallberichten zufolge kommt es bei hospitalisierten COVID-19-Patienten in 16,7 % der Fälle zu Herzrhythmusstörungen und bei 7,2 % zu akuten Herzschädigungen. Das neuartige Coronavirus scheint nach Erfahrungen in China gerade für Menschen mit Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einem höheren Sterblichkeits- und Komplikationsrisiko verbunden zu sein.

Impfschutz

Herzpatienten sollten gegen Pneumokokken und Influenza geimpft sein.

Herzinsuffizienz: Virusinfektion erfordern generell eine reichliche Flüssigkeitsadministration. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder Volumenüberlastung sollte diese mit Vorsicht eingesetzt und engmaschig überwacht werden

Antihypertonika: Berichte und Meldungen, dass vielfach verordnete Antihypertonika, ACE-Hemmer und AT2-Rezeptorblocker, die Häufigkeit und Schwere der COVID-19-Erkrankung beeinflussen, sind umstritten. Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, die eine eindeutige Bewertung über mögliche Vor- oder Nachteile einer das RAS-System hemmenden Therapie zulassen (siehe Artikel in dieser Ausgabe).

Kinderkardiologie: Das Risikoprofil der Coronavirusinfektion für die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern ist „sehr wahrscheinlich mit dem von RS-Viren vergleichbar“ (Synagis-Impfung).

Pneumologie

Asthma und Kortikosteroide

Aktuell finden sich Stimmen, die die Therapie mit inhalierbaren Steroiden (ICS) – das Kernelement der Asthmatherapie – vor dem Hintergrund der aktuellen Coronavirus-Pandemie infrage stellen. Drei Fachgesellschaften haben dazu eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Danach sollte eine angemessene und auf die individuellen Bedürfnisse angepasste Inhalationstherapie bei Asthma unbedingt fortgeführt werden und Patienten ihre Medikamente unverändert einnehmen.

Durch ein plötzliches Absetzen der Medikamente oder eine Änderung der Therapie könne sich das Asthma so sehr verschlechtern, dass (ansonsten unnötige) Arztbesuche oder sogar Krankenhaus-Aufenthalte erforderlich wären. Das Risiko, dort mit COVID-19-Patieten in Kontakt zu kommen und sich anzustecken, sei für Menschen mit Asthma wesentlich größer, als ein mögliches (bislang unbelegtes) Risiko sich durch die Einnahme von immunsuppressiven Medikamenten wie Kortison schneller mit SARS-CoV-2 zu infieren (5).

Bronchoskopie: Die Bronchoskopie gehört zu den Prozeduren, die in besonderem Maße zu einer ausgeprägten Aerosolbildung führen und somit ein hohes Infektionsrisiko bedeuten. Die Pneumologen raten daher, die Indikation für eine Bronchoskopie streng zu stellen; Elektiveingriffe sollten verschoben werden. Im Fall einer Bronchoskopie sei die Zahl der Mitarbeiter (Bronchoskopiker, Bronchoskopieassistenz, Anästhesieteam) auf ein Kernteam, die alle Eingriffe des Tages durchführen, zu begrenzen. Das schließe daher die Anwesenheit von Studierenden, Aus- oder Weiterzubildenden im Untersuchungsraum aus.

Gynäkologie und Geburtshilfe

Kaiserschnitt: Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) warnt vor Kaiserschnitten, die mit der Coronapandemie begründet werden. „Das wäre nicht gerechtfertigt“, sagte Vizepräsident Prof. Dr. med Frank Louwen der Deutschen Presse-Agentur. „Organisatorische Gründe rechtfertigen keine höheren Behandlungsrisiken. Frauen mit Kaiserschnitten sind anfälliger für Komplikationen als Mütter, die ihre Kinder natürlich zur Welt bringen“, so Louwen. Damit stehe man im Einklang mit den Empfehlungen der Welt­gesund­heits­organi­sation (WHO), wonach Kaiserschnitte nur in medizinisch begründeten Fällen durchzuführen seien.

Auch für für nichtinfizierte Frauen sei die Coronapandemie keine Indikation für eine vorgezogene Geburt, etwa durch Einleitung.

Schwangere und kürzlich schwangere Frauen mit Verdacht auf oder bestätigtem COVID-19 sollten mit unterstützenden und Managementtherapien behandelt werden; dabei seien die immunologischen und physiologischen Anpassungen während und nach der Schwangerschaft zu berücksichtigen.

Virustransmission: Es gibt keine Berichte darüber, dass Frauen, bei denen im dritten Schwangerschaftstrimester eine CoronavirusInfektion diagnostiziert wurde, das Virus im Mutterleib an ihre Babys weitergegeben haben. Allerdings ist die Datenbasis sehr gering: Bei 20 Fällen wurde bei den Neugeborenen kein Virus nachgewiesen. Alle Infektionen sind im 3. Trimenon erfolgt (8).

Stillen: Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass das neuartige Virus über die Muttermilch übertragen werden kann. Daher gehe man davon aus, dass die anerkannten Vorteile des Stillens die potenziellen Risiken einer Übertragung des Coronavirus überwiegen.

Schmerzmedizin

Ibuprofen

Es gibt keine Evidenz für eine erhöhte Gefährdung von COVID-19-Patienten unter der Therapie mit dem NSAID Ibuprofen. Mit dieser Aussage widerspricht die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Meldungen der Publikumspresse und in Social-Media-Kanälen, wonach der Schmerz- und Entzündungshemmer die Symptomatik von COVID-19 verstärken könne. Die EMA hat bekannte Daten zu Ibuprofen und anderen Virusinfektionen geprüft. Ihr Fazit: Es gebe derzeit für entsprechende Befürchtungen in Bezug auf Ibuprofen keinerlei Evidenz. Die meisten nationalen Behandlungsrichtlinien innerhalb der EU empfehlen Paracetamol als erste Therapieoption bei Fieber oder Schmerzen.

Palliativmedizin

Akute Ateminsuffizienz: „Wir müssen auf eine Häufung von Sterbefällen mit den Leitsymptomen Luftnot und Angst vorbereitet sein“, so der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Dr. Bernd Oliver Maier, Chefarzt für Palliativmedizin und Onkologie in Wiesbaden. Bei schwer oder mehrfach vorerkrankten Menschen könne die akute Ateminsuffizienz bei COVID-19-Infektion den Beginn des Sterbeprozesses markieren.

Sollte Atemnot trotz optimaler Therapie der Akuterkrankung bestehen bleiben, verweisen die Palliativmediziner nachdrücklich auf medikamentöse Maßnahmen zur Symptomkontrolle, wie die Gabe von oralen oder parenteralen Opio-iden. Retardierte Opioide mit kontinuierlichem Wirkspiegel zeigten eine bessere Symptomlinderung als nichtretardierte Formen.

Bei opioidvorbehandelten Patienten mit Luftnot und der Fähigkeit der oralen Medikamenteneinnahme wird eine Dosiserhöhung der Opioide um 20 % empfohlen. Die Dosis der Bedarfsmedikation müsse ebenfalls angepasst werden (1/10 bis 1/6 der Tagesdosis).

Bei therapierefraktärer Dyspnoe oder bei fehlender Fähigkeit zur oralen Medikamenteneinnahme müsse auf die parenterale Gabe (s.c. oder i.v.) umgestellt, wobei die s.c.-Gabe wegen des geringeren Nebenwirkungsprofils zu priorisieren sei.

Zur Palliativversorgung gehöre auch die Behandlung der häufig mit Atemnot verbundenen Unruhe- und Angstsymptomen mit Lorazepam oder Midazolam.

Quelle: Dr. med. Vera Zylka-Menhorn: www.aerzteblatt.de/lit1320

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