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Physiotherapie Kinder: Wann müssen Kleinkinder zur Physiotherapie?


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Wann zur Therapie?

Es gibt wohl kaum ein Ereignis, das so gegensätzliche Gefühle hervorruft, wie die Geburt eines Menschen. Vor Glück weinende Väter und Mütter sind im Krankenhaus keine Seltenheit – das eigene Leben hat einen neuen Mittelpunkt bekommen, der lauthals um Aufmerksamkeit bittet.

Aber auch Angst und Unsicherheit schwingen bei den frisch gebackenen Eltern immer mit. Wie biete ich meinem Kind eine optimale Umgebung? Warum schreit das Neugeborene permanent? Und sollte der Kleine nicht schon längst krabbeln?

Gerade bei Frühgeburten, die unter anderem infolge später Elternschaft in den letzten Jahren zugenommen haben, gibt es ein erhöhtes Risiko für Entwicklungsverzögerungen. Viele Dinge können jedoch bereits im Säuglings- und Kleinkindalter beeinflusst werden.

Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie und Psychologie bieten hier verschiedene Ansätze – und auch die Eltern können jede Menge tun, um Säuglinge und Kleinkinder bestmöglich zu fördern.

Die erste Möglichkeit zur Intervention bietet sich direkt nach der Geburt: "Frühgeborene Babys müssen im Krankenhaus oftmals eine ganze Reihe von schmerzhaften Untersuchungen über sich ergehen lassen. Wir zeigen den Eltern dann, wie sie bei den Säuglingen wieder ein positives Körpergefühl herstellen können", sagt Diplom-Ergotherapeutin Elke Kumar.

Hautkontakt bei Neugeborenen ist wichtig

Heute wisse man beispielsweise, wie wichtig Hautkontakt, Wärmeaustausch, Stimme und Geruch der Mutter für den Säugling seien, um schnell eine Bindung aufzubauen. Außerdem werden die Eltern im richtigen Umgang mit ihrem Baby angeleitet. Denn selbst die Art und Weise, wie es hochgenommen oder gewickelt wird, kann für die Wahrnehmungs- und Bewegungsentwicklung förderlich oder hemmend sein.

Ist der Klinikaufenthalt beendet, müssen Eltern die Initiative ergreifen – sowohl bei Frühgeborenen als auch bei normal geborenen Babys: "Es ist für den späteren Spracherwerb sehr wichtig, dass die Eltern viel mit ihrem Kind sprechen.

Säuglinge oder Kleinkinder bloß vor den Fernseher zu setzen bringt jedoch nichts, da sie die Emotionalität in der Sprache der Eltern brauchen", sagt Hermann Josef Kahl vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Übungen und Freiraum

Übungen und Freiraum zur Entwicklung der Motorik hält der Mediziner für äußerst sinnvoll. Man sollte das Baby beispielsweise einfach auf den Teppichboden legen, damit es sich dort eigenständig bewegen kann. "Die Entwicklung des Kindes beginnt auf dem Boden. Es mag zwar für die Eltern praktisch sein, den Säugling stundenlang in einen Maxi-Cosi zu betten, für das Baby ist dies aber alles andere als optimal", sagt Diplom-Sprachheilpädagogin Annette Kruschack-Gehlen, die in ihren Therapien nach einem ganzheitlichen Konzept arbeitet.

Auf dem Boden könne das Kind seine Bewegungsmöglichkeiten ausprobieren und dabei Rücken- und Bauchmuskulatur stärken.

Von Experten für Eltern

Ratschläge und Fachwissen dieser Art gibt es mittlerweile natürlich auch im Internet. Wer bei Google "Tipps für Eltern" eingibt, erhält über zwölf Millionen Suchergebnisse. Das ist wohl mehr als genügend Lesestoff für die schlaflosen Nächte von besorgten Müttern und Vätern: "Viele informieren sich übers Internet und bekommen unterschiedliche Informationen, die sie als Laie gar nicht einordnen können und die teilweise auch einfach nicht stimmen", sagt Elke Kumar.

Hilfe bieten hier Präventionsprogramme wie das STÄRKE-Programm in Baden-Württemberg, sagt Kumar. Dabei werden Eltern durch Vorträge und Bildungsgutscheinen unterstützt.

Wann liegt eine Störung vor?

Abseits des virtuellen Lebens sind die sogenannten U-Untersuchungen (Vorsorgeuntersuchungen) Pflicht. Wird hier vom Arzt festgestellt, dass es einen deutlichen Entwicklungsrückstand zu Gleichaltrigen gibt, kann er an einen entsprechenden Experten weitervermitteln. Man spricht immer dann von einer Entwicklungsverzögerung oder auch Entwicklungsstörung, wenn mindestens einer der folgenden sechs Bereiche betroffen ist: Motorik (sämtliche Bewegungsabläufe im grob- und feinmotorischen Bereich), Sensorik (alle Sinne), Kognition (Verstehen von Zusammenhängen, gesamtes Denken), Sprache (Sprachverständnis und Sprechen), emotionale Entwicklung (Gefühlsleben) oder soziale Entwicklung (Umgang mit Menschen).

Die Praxis zeigt, dass meistens eine Kombination der Verzögerungen vorliegt, da ein Entwicklungsbereich den anderen bedingt. Ist das Gehör des Kindes beispielsweise betroffen, kann auch die Motorik beeinträchtigt sein, da im Ohr das Gleichgewichtsorgan sitzt.

Verkabelung des Gehirns lässt sich formen

Ganzheitliche Therapiemethoden wie die Padovan-Methode in der Logopädie können ab dem sechsten Monat angewendet werden. Sie umfassen Aspekte aus der Psychomotorik, Physiotherapie und Logopädie. Durch gezielte Bewegungsübungen soll das zentrale Nervensystem des Kindes neu organisiert werden. Denn mit dem Zeitpunkt der Geburt sind sämtliche Bereiche des Gehirns bereits angelegt, nur die "Verkabelung" ist noch nicht vollständig.

"Wir wissen, dass diese Verknüpfungen durch Bewegungen des gesamten Körpers stattfinden. Bewegungen sind die Antwort auf sensorische Impulse. Das heißt, der Körper erfährt einen Reiz, nimmt etwas wahr, verarbeitet das Wahrgenommene und gibt eine motorische Antwort in Form einer Bewegung. Je besser die Qualität dieser evolutiven Bewegungsmuster ist, umso besser wird die Qualität der neurologischen Verknüpfung sein", sagt Kruschack-Gehlen.

Richtig tiefes Atmen lernen

Dem Hirn wird in der Therapie also gezeigt, welche Bewegungen am ökonomischsten sind, indem die Bewegungsmuster gemeinsam nachgeturnt werden. Beginnend mit isolierten Beinbewegungen, über das Kriechen und Krabbeln bis hin zum Marschieren. Nach demselben Prinzip funktionieren der Aufbau und die Kräftigung der vorsprachlichen Grundfunktionen wie Atmung, Saugen, Kauen und reflektorisches Schlucken.

So wird für eine bessere Atmung eine leichte Zwerchfellübung gemacht, bei der die Therapeutin mit der Hand beim Säugling in Höhe des Zwerchfells einen Impuls auslöst. Hierdurch wird die Luft in der Luftsäule zwischen Kehlkopf und Zwerchfell angeregt. Eine schlechte Atmung kann im späteren Leben zur Mundatmung führen. Wichtige Filterfunktionen der Nase würden wegfallen.

Ergotherapie gegen Übererregung

In der Ergotherapie hingegen wird oft auf die sensorische Integrationstherapie zurückgegriffen. Babys und Kleinkinder sollen mehr Spürfunktion über den eigenen Körper erlangen, indem durch den Therapeuten Sinnesreize hinzugefügt oder weggelassen werden. "Bei sogenannten Schreibabys kann der Säugling zum Beispiel Schwierigkeiten haben, Sinneseindrücke angemessen zu verarbeiten. Wir versuchen dann, das Umfeld den Bedürfnissen des Babys abzupassen. Hierfür beraten wir die Eltern auch zu Hause", sagt Kumar.

Übererregungen können etwa durch Hautkontakt, Kleidung, Gleichgewichtsreize oder zu viele Hör- und Seheindrücke ausgelöst werden. Es sei jedoch wichtig, exzessives Schreien über mehrere Stunden vom gelegentlichen Schreien abzugrenzen. Letzteres ist ganz normal, wird aber heutzutage von vielen Eltern immer schlechter ertragen.

Fehlbildungen der Halswirbelsäule

In der Physiotherapie werden in den letzten Jahren häufiger Babys behandelt, bei denen eine Symmetriestörung diagnostiziert wurde. Diese Säuglinge liegen meist auf einer Seite, was wiederum einen einseitig abgeflachten Schädel, Gesichtsasymmetrien oder Beckenschiefstand zur Folge haben kann. Die Ursache hierfür können unter anderem angeborene Fehlbildungen oder eine Irritation der Halswirbelsäule sein.

Liegt das Baby dann noch häufig auf dem Rücken, was als Schutz vor dem Plötzlichen Kindstod zu Recht angeraten wird, verstärken sich die Symptome. Viele Eltern lassen ihr Baby aus Überfürsorge auch im Wachzustand kaum noch auf dem Bauch liegen.

"Der Säugling schafft es dann häufig nicht mehr, seine Achse allein wiederzufinden. Die Kinderärzte sagen oft, dass wächst sich noch zurecht – das tut es jedoch meistens nicht, sondern die Störung verschlimmert sich", sagt Frauke Mecher, Physiotherapeutin sowie Beiratssprecherin im Zentralverband der Krankengymnasten und Physiotherapeuten.

Um Probleme beim späteren Aufrichten des Kindes zu vermeiden, rät Mecher den Eltern zu einer Behandlung des Kindes innerhalb der ersten drei Lebensmonate.

Spielen Kinder nicht richtig, sollte man zum Arzt gehen

Doch egal welche Möglichkeiten es heute selbst bei den Kleinsten schon gibt: Die Eltern sind nach wie vor treibender Motor bei der Entwicklung des Nachwuchses.

Wann gibt es also berechtigten Grund zur Sorge? "Die Hauptarbeit der Kinder ist das Spielen. Sie haben normalerweise Freude am Erkunden und Ausprobieren verschiedenster Dinge. Hierdurch trainieren sie ganzheitlich alle Sinnessysteme und ihre geistigen Fähigkeiten. Wenn das Kind jedoch in seiner altersgemäßen Spielfähigkeit oder Alltagsbewältigung eingeschränkt ist, sollte geklärt werden, was dahintersteckt", erklärt Elke Kumar.

Quelle: Die Welt / Gesundheit

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