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„Der Roboter ist der Rollator von morgen“

Selbstbestimmt und gesund bis ins hohe Alter – das geht nur mithilfe von Robotern, sagt Sami Haddadin von der Technischen Universität München.

Professor Haddadin, bislang ist Medizin eine Sache von Ärzten, Pflegern und Patienten. Nun eröffnen Sie, Robotik-Forscher an der TU München, den Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin. Können uns Roboter gesünder machen?

Das können sie auf vielfältige Weise. Zum Beispiel werden sie in der Zukunft zu einem selbstbestimmten, gesunden Leben im Alter beitragen. Die Prämisse muss doch sein, die Menschen zu befähigen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben zu können. Meine eigene Großmutter ist über 90 Jahre alt geworden und ist bis zum Ende in den zweiten Stock gelaufen, hat allein gewohnt und wollte das auch nicht anders. Die Frage ist also, wie man Technologie einsetzen kann, um Menschen das zu ermöglichen. Die Aufgaben, die Robotersysteme dabei übernehmen können, erscheinen uns Jüngeren zwar mitunter als simple, selbstverständliche Handgriffe. Etwa das Aufstehen am Morgen, das Öffnen der Tür, Sachen vom Boden aufheben, eine einfache Mahlzeit zubereiten. Oder sich die Zähne zu putzen – wenn das aufgrund eines Tremors über Jahre nicht richtig klappt, kann das schwerwiegende Folgen haben, weil der Mundraum dann zum Entzündungsherd wird.

Solche vermeintlich kleinen Probleme machen selbstbestimmtes Leben im Alter oft schwierig. Robotertechnologie kann viele davon lösen. Und dazu braucht es nicht immer gleich eine dem Menschen ähnliche Maschine. Mitunter reichen ein paar intelligent eingesetzte Sensorsysteme, etwa um im Notfall einen Arzt verständigen zu können. Noch immer passiert es viel zu oft, dass ein Mensch nur deshalb stirbt, weil er während eines Schlag- oder Herzanfalls den Arzt nicht mehr alarmieren konnte.

Den Arzt selbst, von denen es vielerorts zu wenige gibt, ersetzt das nicht.

Das ist auch gar nicht das Ziel. Smarte Roboterwerkzeuge sollen dem Arzt ein unterstützendes Werkzeug sein. In der Telemedizin können Fachärzte so beispielsweise einen „Hausbesuch“ mithilfe des Roboters abstatten, und das selbst in ländlichen Regionen mit akutem Fachärztemangel. Ich nenne das Konzept den „Fernkörper“. Da kommuniziert man nicht nur per Sprache und Video oder steuert einen Roboter aus der Ferne, sondern der Arzt kann durch den Roboterassistenten selbst auf große Distanzen hin den Patienten anfassen und ihm direkt helfen.

Sie meinen ferngesteuerte Roboter, wie sie aus Hollywood-Science-Fiction als Avatare bekannt sind?

Ich nenne das Fernkörper, weil beim Begriff „Avatar“ mittlerweile jeder an diese blauen Männchen denkt. Mit derartiger, wenn auch sehr viel einfacherer Fernkörper-Technologie können Astronauten mittlerweile Transportvorgänge oder Außenreparaturen an Satelliten oder Raumstationen wie der ISS durchführen, ohne das sichere Raumschiff verlassen zu müssen. Mit solchen Virtual-Reality-Systemen könnten künftig auch Ärzte einen Roboter in Tausenden Kilometern Entfernung so steuern, als wären sie vor Ort. Die Technik ist schon jetzt so weit entwickelt, dass der Behandelnde trotz der Distanz spürt, was der Roboter vor Ort „fühlt“, wenn er den Patienten berührt – die Wärme der Haut, seine Bewegungen und so weiter. Die Telemedizin in den Industrieländern wird das sicher in den nächsten Jahren nutzen. Solche Systeme könnten aber künftig auch Ärzte einsetzen, die Epidemien in Entwicklungsländern – wie etwa den derzeitigen Ebola-Ausbruch im Kongo – eindämmen wollen. Sie könnten sich aus sicherer Distanz in einen Avatar einklinken, über den sie dann die Infizierten versorgen, Blutdruck messen oder Spritzen setzen. Autonome Flugtaxis könnten mit diesen Systemen ausgestattet und in solchen Risikogebieten eingesetzt werden. Das ist nichts, was morgen passieren wird, aber in diese Richtung denke ich sehr viel, eben um Robotersysteme auch in Katastrophensituationen einzusetzen.

Das sind Zukunftsvisionen, aber lassen sich Avatare auch schon jetzt und hier nutzen?

Auf dem Hauptstadtkongress werde ich darüber reden, wie man mit solchen Fernkörpern selbstbestimmtes Wohnen im Alter gewährleisten kann. Die Technologie dafür ist bereits Realität – etwa in der Rehabilitation: Damit die tägliche Physiotherapie auch gemacht wird, könnte sich der Physiotherapeut aus der Ferne in den Roboterassistenten einklinken, um direkt vor Ort mit dem Patienten zu arbeiten, etwa nach einer Hüft-OP, einem gebrochenen Arm oder einem Schlaganfall. Einfache Systeme sind sogar schon Realität, etwa das Frühmobilisierungsbett, das den Patienten aufrichtet und ihm hilft, seine Beine zu bewegen. Das sieht natürlich nicht aus wie ein Roboter, eher wie Fußpedalen. Die Maschine wird von einem Physiotherapeuten trainiert, der zeigt, wie die Physiotherapie aussehen muss, inklusive der Geschwindigkeit der Bewegung, der Stärke und der Feinfühligkeit. Der Roboter ahmt das nach und assistiert dem Patienten fortan, gerade so viel wie nötig. Dies schafft einen echten Mehrwert im klinischen Alltag. Denn der frühe Beginn und Erfolg einer Rehabilitation entscheidet nachweislich darüber, ob ein Patient nach einer Hüft-OP wieder zu Hause wohnen kann oder nicht.

Statt Menschen pflegen Roboter. Das klingt nach einem gefühlskalten Konzept.

Menschen sollen sich um Menschen kümmern. Gleichzeitig müssen wir auch diejenigen unterstützen, die diesen Dienst an der Gesellschaft verrichten. Es geht nicht um Roboter als Pfleger-Ersatz, sondern um Pflegeassistenz. Es pflegen nicht die Roboter, sondern die Pflegekräfte unterstützt von Robotern. Viel zu oft muss Pflegepersonal Tätigkeiten erledigen, die mit Pflege gar nichts zu tun haben. Wir geben diesen Menschen, die sich engagieren, Hilfsmittel an die Hand. Roboter sind Werkzeuge, die den Pflegekräften wieder mehr Zeit geben sollen für die direkte Interaktion mit den zu Pflegenden . Das ist alles andere als gefühlskalt.

Das sind hehre Ziele. Aber lässt sich das finanzieren und stellt die Politik auch die richtigen Weichen?

Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass solche Techniken verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Die Politik müsste unter anderem dafür sorgen, dass durch Effizienzgewinne Ärzte und Pflegekräfte ihre frei werdende Zeit auch wirklich für die Betreuung der Patienten nutzen können. Nicht nur die Zielklientel solcher Technologien – Senioren, pflegende Angehörige und Pflegepersonal –, sondern auch die Politik, die Krankenkassen und die Gesetzgebung müssen verstehen, was da auf uns zukommt. Wir Forscher und Entwickler müssen daher befähigt werden, im Realeinsatz aufzuzeigen, wie solche Systeme eingesetzt werden können. In Garmisch-Partenkirchen wollen wir beispielsweise erstmals ein „Geriatronik-Zentrum“ einrichten. Dort soll die Assistenz-Robotik nicht nur erforscht und entwickelt werden, sondern Seniorenwohnungen für den Piloteinsatz der Technologie entstehen. Diese sollen dann nach erfolgreicher Erprobung bedürftigen Senioren zugänglich gemacht werden, sodass die Technik mit Angehörigen und Pflegepersonal unter Alltagsbedingungen langfristig erprobt wird.

Werden wir uns – gerade im Alter – an Roboter im Haushalt gewöhnen müssen?

Aus den Gesprächen mit Senioren, Pflegepersonal und Gerontologen habe ich gelernt, dass ältere Menschen genauso wenig wie jüngere von anderen Menschen abhängig sein wollen, sondern selbstbestimmt leben wollen. Roboter, Avatare, Assistenzsysteme sind nichts anderes als Hausgeräte, die dies ermöglichen sollen. Sie sind der Rollator von morgen.

Roboter können schon hüpfen, springen, rennen, Schach spielen – worin liegt für Sie als Forscher noch die Herausforderung?

Prinzipiell möglich heißt eben nicht, dass immer alles und ständig funktioniert. Etwa die Energieversorgung ist noch lange nicht gelöst. Ein Roboter kann auf zwei Beinen rennen, aber wenn er nach 20 Minuten schlappmacht, dann ist das so hilfreich wie ein Elektroauto, das einen Kilometer fährt. Es gibt noch so viele offene Fragen und ungelöste Probleme, die mich beschäftigen, da wird mir sicher nicht langweilig.

Ist das einer der Gründe, warum Sie nicht ans Mekka der Ingenieure, ans MIT oder Stanford gegangen sind, trotz Ruf, sondern nach München?

In Deutschland und Europa sind wir in der Vereinheitlichung von Robotik und künstlicher Intelligenz, der sogenannten Maschinenintelligenz, mindestens auf Augenhöhe. München ist diesbezüglich das Mekka in Europa. Ich darf hier an der Technischen Universität eine neue Disziplin aufbauen, im Rahmen der neu gegründeten „Schule für Robotik und Maschinenintelligenz“. Für einen Wissenschaftler ist das eine außergewöhnliche Möglichkeit. Ich hoffe, dass wir hier eine deutsche Erfolgsgeschichte schreiben können – als Zeichen, dass man nicht ins Ausland gehen muss, sondern auch hierzulande etwas aufbauen kann. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist in Deutschland ein hohes Gut, hier kann man an Grundsatzfragen langfristig forschen. Wenn beispielsweise etwas unerreicht ist in der gesamten Robotik und künstlichen Intelligenz, dann sind es die Fähigkeiten der menschlichen Hand im Wechselspiel mit unserem Gehirn. Roboterhände besitzen bestenfalls die Fertigkeiten eines einjährigen Kindes. Hier ist noch viel Grundlagenforschung nötig, um diesen heiligen Gral der Maschinenintelligenz zu finden.

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